Eigentlich wollte Karl Wozek Fußballer werden. Geworden ist aus ihm der Theaterberserker Karl Wozek, der eine Laiengruppe um sich geschart hat, die in Wien ihresgleichen sucht. Dieser Tage etwa
spielen über dreißig von Wozeks Mimen im Theater des Augenblicks rund drei Stunden lang das Leben des Philosophen Friedrich Nietzsche nach. "Das Nietzsche-Gefühl in mir muss einfach heraus", erklärt
Wozek den Gewaltakt namens "Nietzsche nackt - Ein Leben im Hades", in dem seine Mannschaft Originaltexte von Nietzsche skandiert und schreit und sich dabei nach einer strengen Choregraphie
verausgabt, die ein wenig an Einar Schleefs Chöre erinnert. Einar wer? Wozek kennt die Theaterarbeit des deutschen Regisseurs und Seelenverwandten nicht; er geht überhaupt nur selten ins Theater,
denn die Abende braucht er zum Proben.
Man ist versucht, in dem 38-jährigen Karl Wozek einen Don Quichotte des Theaters zu sehen. "Ich will, dass das Theater wieder gesellschaftswirksam wird", sagt er ohne jeden ironischen Unterton. "Da
werde ich aber sicher noch zehn Jahre dafür brauchen." Wenn er sich dabei energisch durch die immer etwas zerraufte Frisur fährt und einem ganz fest in die Augen schaut, ist man gewillt, sein
missionarischen Eifer zu glauben.
Immerhin ist es dem Mann in den vergangenen zehn Jahren gelungen. eine eigene kleine Theaterwelt hochzuziehen. Der Grundstein wurde mit Schauspielworkshops gelegt, die Wozek mittlerweile jeden Sommer
abhält und in denen er heute noch seine Mitspieler rekrutiert. Viele Schüler und Studenten finden sich darunter, auch Angestellte und Beamte, mehr Frauen als Männer. "Ich unterscheide nicht zwischen
Laien- und Profidarstellern", stellt Wozek klar. "Für mich zählt die Haltung, mit der jemand auf die Bühne geht." Darunter versteht er "die Bereitschaft zum Experiment und zum Risiko. Wir sind alle
mit ganzem Herzen und vollem Einsatz dabei." Der Verein theater.wozek zählt mittlerweile rund siebzig Mitglieder, mit denen er seit 1996 jedes Jahr mehrere Produktionen auf die Beine stellt. Meistens
Klassiker wie Goethe, Grillparzer und Schiller, aber auch Stegreif- und Straßentheater gehört zum Repertoire.
Karl Wozek versucht, Maßstäbe zu setzen und jede Theatervernunft zu sprengen. Im Rahmen einer "Wasser-Trilogie" etwa kamen Brecht am Donaukanal, Hölderlin auf der Reichsbrücke und Nietzsche im
Kabelwerk zur Aufführung. Bis zu 80 Personen hat er dabei versammelt, keine Inszenierung dauerte unter drei Stunden. Oder sein eigenwilliges "Shakespeare-Triptychon", bei dem er das wenig bekannte
"Hamlet in Wittenberg" von Gerhart Hauptmann dem Shakespeare-Text vorangestellt und den Abend mit Heiner Müllers "Hamletmaschine" beschlossen hat.
Solche Ideen schmiedet er im "Theaterlabor", das als reine Experimentierwerkstatt gedacht ist. Außerdem gibt Wozek vier Mal im Jahr eine Zeitschrift mit Texten und Gedichten, die
blätter.zum.weitertragen, heraus und betreibt eine regelmäßig tagende Philosophierunde. "Kant und Schopenhauer auf der Bühne, das wäre doch witzig. Überhaupt sind die Denker so spannend, das
gehört einfach auf die Bühne." Wenn Karl Wozek nicht gerade als Faktotum mit dem theater.wozek beschäftigt ist, steht er selbst auf der Bühne und spielt sich kreuz und quer durch die Wiener Klein-
und Mittelbühnen.
Karl Wozek stammt aus eine Mödlinger Arbeiterfamilie, der Vater ist ein gestandener Sozialist, die Mutter eine gläubige Katholikin. Sein Fußballerkarriere als Stürmer gibt er bald auf, er schließt
eine Lehre als Elektriker ab - übt den Beruf dann aber nie aus. Er gründet früh eine Familie, die er anfangs mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser hält. Ermutigt von seiner Frau, beginnt er
Straßentheater zu spielen. Erste Schauspielkurse (unter anderem bei Georg Tabori) folgen, das meiste aber hat er sich autodidaktisch beigebracht.
"Während der Proben sage ich immer zu den Schauspielern: Ihr seid das totale Theaterkollektiv" - der Rest ist eine Frage des Vertrauen". erklärt Wozek. Der Zusammenhalt der Gruppe ist in den
Aufführungen spürbar: die Darsteller sind eine verschworene Gemeinschaft, die sich unmittelbar selbst darstellt. In seinen besten Momenten formt das Ensemble sich ständig verändernde
Körper-Landschaften. Manchmal gelingen den Spielern dabei verstörend schöne Bilder, manchmal auch bloß schrecklich lächerliche. Aber die Besinnung auf den Chor hat weitreichende Konsequenzen für die
Theaterpraxis des theater.wozek: Die Darsteller spielen nicht nur mit extremem körperlichem Einsatz, sondern verweigern sich auch der gängigen Theaterhierarchie, die Gefälle zwischen Haupt- und
Nebenfiguren etabliert.
Schließlich glauben sie ja auch noch daran, dass Theater die Gesellschaft verändern kann. "Wir sind verrückt. Charmant verrückt", sagt Karl Wozek.