theater.wozek
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Die Hamletmaschine

von Heiner Müller

Aus unserem Folder:

- Die Hamletmaschine Versuche 1 - 5
- Die Hamletmaschine von Heiner Müller (Resttext)
- Ich, Prinz der Innereien (Karl Wozek)
- Besetzung und Produktion

Wo beginnen?

Alles kracht in den Fugen und schwankt.

Die Luft erzittert vor Vergleichen.

Kein Wort ist besser als das andere,

die Erde dröhnt vor Metaphern ... (Ossig Mandelstam)

Hamletmaschine- Erklärungsversuche 1-5

 

Versuch 1

Heiner Müllers Hamlet protestiert, rekapituliert, funktioniert, ist tot. Er hat alles hinter sich und will nichts mehr vor sich haben. Er rechnet ab: mit sich, mit seinem Vater, seiner Mutter, mit seiner Geliebten Ophelia, mit dem Hofstaat, mit der Geschichte, mit der Politik (DDR-Problematik), mit dem Leben. Er besucht noch einmal die Welt der Unterdrückten und Mißbrauchten: das Brachland der Frauen, die Ruinen der Künstler, die Universität der Toten. Er resigniert. Er zieht sich zurück in sich selbst. Er will eine Maschine sein. Ohne Herz. Ohne Sinn.

Versuch 2

Die Hamletmaschine bricht in unsere Hirn- und Herzlandschaften ein wie ein Orkan und demoliert alles, was wir in unserem Existenztaumel mit gutem Gewissen aufgebaut haben. Zurück bleibt das seelische Bruchfeld einer Nachkriegsgeneration. Das Schreckensbild unserer Alltäglichkeit.

Versuch 3

Müllers faszinierender, suggestiver Hamletmaschinentext verfrachtet den Intellektuellen Hamlet in ein apokalyptisches Szenario der Gegenwart.

Versuch 4

Das Einzelschicksal Hamlet, ein Individuum aus der Elisabethanischen Zeit über Jahrhunderte hinweg glorifiziert, heroisiert, idealisiert, einbalsamiert, tausendmal geschändet, zu Tode definiert und wiederbelebt wird in der monströsen Sprachmaschine Müllers in ein dramaturgisches Korsett gezwungen, das jede Eigenart und jede Willensäußerung untersagt. Die Person Hamlet erstickt in kollektiver Atemlosigkeit.

Versuch 5

Müller demontiert eine Charakterikone, ein komplexes Seelengebilde, und wirft die Einzelteile dem - ach so aufgeschlossenen - Kulturpilgerer zum schwerverdaulichen Fraß vor. Prost! Mahlzeit!

 

Ich, Prinz der Innereien (Karl Wozek)

Mein Gott, Ophelia. Dich habe ich ganz vergessen! - Wo warst du nur? - Ich habe doch ... Ja, ich habe dich gesucht - früher. Und dann ... Was? Ins Kloster? Ich dich? Blödsinn! Ich habe dich nie ins Kloster geschickt. Das mußt du dir eingebildet haben. - Wie du nur aussiehst?! - Gib doch den Stacheldraht von deinem Körper. Und steig aus dem Wasser. Du verkühlst dich ja. - Komm, ich nehme dich in die Arme. Bist ja mein Liebling. - Hey! Du sollst den Scheiß Stacheldraht wegnehmen. Du zerstichst dir ja deinen schönen, kalten, toten Leib. - Ach so. Du willst nicht. Bist trotzig. Wirfst mir alles zu. Schuld, Mord, Ekel. - Jetzt sei nicht so. Willst du wirklich in diesen Drecksfluten vermodern? Angefressen von Fischen und Krebsen. - Denk doch zurück, wie es war. Und wie es hätte sein können. Und was wir getan hätten: ich mit dir und du mit mir - wenn uns nicht mein rachesüchtiger Zombie-Vater in die Quere gekommen wäre, dieses Aas! - Ja, ich hätte deine Augen betrachtet, deine abgrunddunklen Augen, stundenlang, und deine warmen frischen Brüste in die Hände genommen, ganz sanft und an deinen Haaren gerochen wie ein Tier, und ich hätte dich geleckt, überall, wo du willst - und dann, dann hätte ich meinen Samen, meinen tragischen Hamletsamen in deinen Schoß geschossen, wild, heiß ... Amen.

Was schaust du so? Brauchst gar nicht so schauen! Wer hat denn spioniert? Ich oder du? Wer hat mich denn verraten und ausgeliefert? Schlampe du! - Seht ihr, jetzt weint sie. Dieses hübsche, notgeile Hofmädchen, das mich verflucht hat. Heul doch nicht! Tote haben keine Tränen. Kapierst du?! Tote sind leblos. Ohne Empfindung. Tot. - Na und, bin ich halt grob. In dieser Welt? Ist das ein Wunder? - Ja, ja, dein Brandwort. Was soll ich damit? - LIEBE - Wie kann ich lieben, wenn ich Mörder sein muß?! - Nein. Ich tue ihr unrecht. Ophelia ist ein Kind. Ein jungfräuliches Frühlingswesen. Naiv. Unverbraucht. Authentisch. Und sie träumt von einem Leben, das im Paradies stattfindet, wo jede Kreatur Platz hat und sein darf, wie sie ist. Ohne Sünde. Ohne Fall. Genau! Das ist sie: Vollkommen unberührt. Ein Engel. Auch wenn sie ihren süßen kleinen Apfelarsch demonstrativ durch die Prunksäle schwingt und ihrem Vater - wir kennen ihn unter dem Namen: Polonius der ultimative Ultraschleimer -, heimlich beim Onanieren zugesehen hat und zuguterletzt ihren Bruder Laertes gezwungen hat, seinen Schwanz in ihr kirschsaures Blasmündchen zu schieben, um zu erfahren ... Schande! Wie kann ich nur! So eine Schande!! Ein dermaßen unschuldiges Fräulein derart ...

Fickt euch doch ihr Morallutscher! Ihr miesen, verkoksten, halbkastrierten, biederen Salonvoyeure! - Ich habe sie geliebt. Ja. Und ich werde sie immer lieben. Immer lieben! - Streß. Unzucht. Cash. Weg !! ... Himmelblaues Bühnenlicht. Ein lautloser Aufschlag. Blut. ... Nymphe, schließ in dein Gebet all meinen Wahnsinn ein.
...
Ich bin eine Zumutung.
(Auszug: Ich - Prinz der Innereien / Karl Wozek)

 

Die Hamletmaschine Resttext

(...)

     WER IST DIE LEICH IM LEICHENWAGEN / UM WEN HÖRT MAN VIEL SCHREIN UND KLAGEN / DIE LEICH IST EINES GROSSEN / GEBERS VON ALMOSEN das Spalier der Bevölkerung, Werk seiner Staatskunst ER WAR EIN MANN NAHM ALLES NUR VON ALLEN.

(...)

     Der Aufstand beginnt als Spaziergang. Gegen die Verkehrsordnung während der Arbeitszeit. Die Straße gehört den Fußgängern. Hier und da wird ein Auto umgeworfen. Angsttraum eines Messerwerfers: Langsame Fahrt durch eine Einbahnstraße auf einen unwiderruflichen Parkplatz zu, der von bewaffneten Fußgängern umstellt ist. Polizisten, wenn sie im Weg stehn, werden an den Straßenrand gespült. Wenn der Zug sich dem Regierungsviertel nähert, kommt er an einem Polizeikordon zum Stehen. Gruppen bilden sich, aus denen Redner aufsteigen. Auf dem Balkon eines Regierungsgebäudes erscheint ein Mann mit schlecht sitzendem Frack und beginnt ebenfalls zu reden. Wenn ihn der erste Stein trifft, zieht auch er sich hinter die Flügeltür aus Panzerglas zurück. Aus dem Ruf nach mehr Freiheit wird der Schrei nach dem Sturz der Regierung. Man beginnt die Polizisten zu entwaffnen, stürmt zwei drei Gebäude, ein Gefängnis eine Polizeistation ein Büro der Geheimpolizei, hängt ein Dutzend Handlanger der Macht an den Füßen auf, die Regierung setzt Truppen ein, Panzer. Mein Platz, wenn mein Drama noch stattfinden würde, wäre auf beiden Seiten der Front, zwischen den Fronten, darüber. Ich stehe im Schweißgeruch der Menge und werfe Steine auf Polizisten Soldaten Panzer Panzerglas. Ich blicke durch die Flügeltür aus Panzerglas auf die andrängende Menge und rieche meinen Angstschweiß. Ich schüttle, von Brechreiz gewürgt, meine Faust gegen mich, der hinter dem Panzerglas steht. Ich sehe, geschüttelt von Furcht und Verachtung, in der andrängenden Menge mich, Schaum vor meinem Mund, meine Faust gegen mich schütteln. Ich hänge mein uniformiertes Fleisch an den Füßen auf. Ich bin der Soldat im Panzerturm, mein Kopf ist leer unter dem Helm, der erstickte Schrei unter den Ketten. Ich bin die Schreibmaschine. Ich knüpfe die Schlinge, wenn die Rädelsführer aufgehängt werden, ziehe den Schemel weg, breche mein Genick. Ich bin mein Gefangener.

(...)

     Ich breche mein versiegeltes Fleisch auf. Ich will in meinen Adern wohnen, im Mark meiner Knochen, im Labyrinth meines Schädels. Ich ziehe mich zurück in meine Eingeweide. Ich nehme Platz in meiner Scheiße, meinem Blut. Irgendwo werden Leiber zerbrochen, damit ich wohnen kann in meiner Scheiße. Irgendwo werden Leiber geöffnet, damit ich allein sein kann mit meinem Blut. Meine Gedanken sind Wunden in meinem Gehirn. Mein Gehirn ist eine Narbe.

(...)

     ES GILT ALLE VERHÄLTNISSE UMZUWERFEN, ...

 

Das "Hamletmaschine"-Ensemble

Hamlet Stefan Wilde
Hamlet Charly Vozenilek
Hamlet Manfred Stadlmann
Hamlet
Peter Sperka
Hamlet Christian Rajchl
Hamlet
Martin Oberhauser
Hamlet Paul König
Hamlet
Albert Braun

Bühnenmeister Christian Korcian    
Konzept & Inszenierung Karl Wozek
Bühne Christian Korcian
Technik & Licht Michael Wilfinger
Kostüme Elfi Vozenilek
Grafik Alexandra Öhlinger
Coverfoto Roberto Familiant
PR Eva Scherr    
Ophelia Petra Schilling
Ophelia Eva Scherr
Ophelia Petra Rößl
Ophelia Ines Rößl
Ophelia Petra Piuk
Ophelia Alexandra Öhlinger
Ophelia Ulli Kohout-Klinger
Ophelia Anneliese Iben
Ophelia Elisabeth Eischer
Ophelia Barbara Brandl
Ophelia Claudia Beil    

Produktion: weard.t.atr & theater.wozek

ham.let

Es ist etwas faul im Staate ...
nach William Shakespeare und Heiner Müller

26. April - 13. Mai 2000
Kabelwerk (U6 / Tschertegasse) - A-1120 Wien, Oswaldgasse 33-35

Hamlet (William Shakespeare)
Ensemble: weard.t.atr
Inszenierung: Hubsi Kramar

Die Hamletmaschine (Heiner Müller)
Ensemble: theater.wozek
Inszenierung: Karl Wozek

Eine Kabelwerk Co-Produktion.

Konditionen

* nicht subventioniert
* keine Förderungen
* parteipolitisch unabhängig
* visionär veranlagt

 

Heiner Müller (* 1929; 1995)

Schriftsteller, Journalist, Dramaturg.
Müller geht in bewußter Nachfolge von Brecht stets von Modellsituationen aus: Widersprüche zwischen Praxis und Ideologie, zwischen Sein und Bewußtsein werden ausgetragen in beispielhaft überhöhten Konflikten, die der Antike, zurückliegenden Revolutionsepochen, aber auch dem Alltag der DDR entnommen sind.

Dramen: "Der Lohndrücker", "Philoktet", "Leben Gundlings...", "Quartett", "Die Hamletmaschine", u.a.

Programmheft

Probenfotos

PRESSE

FALTER 18/00

Schmäh ohne, ohne Schmäh
von Wolfgang Kralicek
[...] danach spielt das theater.wozek Heiner Müllers „Hamletmaschine“. Regisseur Karl Wozek ist ein Besessener, der ohne Subventionen seit vier Jahren Theater macht: unter anderem hat er bisher „Faust I“ und die „Räuber“ inszeniert. [...] Die Präzision und die Energie des Ensembles erinnern an die Chöre des Einar Scheef. [...] Es ist gut zu wissen, dass es noch Menschen gibt, die glauben, mit „Hamlet“ die Welt verbessern zu können.

KURIER 27.4.2000

Hamletmaschine
von Peter Jarolin
[...] Lauter und weniger bieder nähert sich Karl Wozek zu später Stunde der „Hamletmaschine“. Erst hier darf sich ein Drama voll entfallten, ist spannendes Theater zu erleben.

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