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Ein Kind unserer Zeit

nach Ödön von Horváth

Ich bin Soldat. Jetzt hat mein Dasein plötzlich wieder Sinn! Ich war ja schon ganz verzweifelt, was ich mit meinem jungen Leben beginnen sollte. Die Welt war so aussichtslos geworden und die Zukunft so tot. Ich hatte sie schon begraben. Aber jetzt habe ich sie wieder, meine Zukunft, und lasse sie nimmer los, auferstanden aus der Gruft!“
Ein junger Mann, arbeitslos und scheinbar ohne jede Perspektive, glaubt einen Sinn im Leben finden zu können, indem er sich mit faschistischen Ideen identifiziert und dafür enthusiastisch als Freiwilliger in den Krieg zieht. Jahre später kehrt er als Invalide zurück und verzweifelt an seinem Schicksal, seinen früheren Idealen und seinem Hass gegen die herrschenden Verhältnisse.
Ödön von Horváths Roman “Ein Kind unserer Zeit” schildert eine Problematik, die heute, 71 Jahre nach seinem Erscheinen, immer noch aktuell ist. “Ein Kind unserer Zeit” – ein Theaterabend, der menschliche Konflikte durch alle Zeiten hindurch am Nerv trifft.

 

Auszug

Es gibt keine Gerechtigkeit, das hab ich jetzt schon heraus. Daran können auch unsere Führer nichts ändern, selbst wenn sie auf außenpolitischem Gebiet noch so genial operieren. Der Mensch ist eben nur ein Tier, und auch die Führer sind nur Tiere, wenn auch mit Spezialbegabungen.
Warum bin ich nicht so begabt?
Warum bin ich kein Führer?
Wer bestimmt da mit einem Menschen?
Wer sagt zu dem einen: Du wirst ein Führer.
Zum anderen: Du wirst ein Untermensch.
Zum dritten: du wirst eine dürre, stellungslose Verkäuferin.
Zum vierten: Du wirst ein Kellner.
Zum fünften: Du wirst ein Schweinskopf.
Zum sechsten: Du wrist die Witwe eines Hauptmanns.
Zum siebten: Gib mir deinen Arm - Wer ist das, der da zu befehlen hat?!
Das kann kein lieber Gott sein, denn die Verteilung ist zu gemein. Wenn ich der liebe Gott wäre, würd ich alle Menschen gleich machen. Einen wie den anderen - gleiche Rechte, gleiche Pflichten! Aber so ist die Welt ein Saustall.

Team

DARSTELLERINNEN: Charly Vozenilek, Barbara Sotelsek, Martin Oberhauser

REGIE:  Karl Wozek

 

Premiere im TAG

2. Dezember 2009 um 20 Uhr

 

weitere Vorstellungen:

3./5./7./9./10./12. + 14. Dezember 2009 (TAG)

 

Do 10. Juni 2010 um 10:30 + 19:30 Uhr in Baden (Theater am Steg)
Sa 12. Juni 2010 um 20 Uhr in Orth/Donau (Meierhof)
Di 15. Juni 2010 um 10:30 Uhrin Mistelbach (Stadtsaal)
Do 17. Juni 2010 um 10:30 Uhr in Tulln (Kunstwerkstatt)

8. + 9. November 2010 im Theater Wagabunt (Dornbirn)
Di 14.12.2010 / 10:30 + 19:30 Uhr (Dschungel Wien)
Mi 15.12.2010 / 10:30 + 19:30 Uhr (Dschungel Wien)

 

© fotopalffy

Programmheft

Autor

 

Ödön von Horváth
 
Horváth, Ödön (Edmund) von, * 9. 12. 1901 Fiume (Rijeka, Kroatien), † 1. 6. 1938 Paris (Frankreich; Unfall), Dramatiker und Erzähler. Sohn eines österreichisch-ungarischen Diplomaten, lebte ab 1923 als Schriftsteller in Berlin und Murnau (Bayern). Aufgrund von nationalsozialistischen Repressalien 1933-38 in Wien, emigrierte im März 1938 nach Paris. Seine Stücke stehen in der Tradition des Wiener Volksstücks und der österreichischen sprachskeptischen Literatur. Vor allem durch die Demaskierung kleinbürgerlicher Sprache ("Bildungsjargon") und Verhaltensweisen übte er radikale Sozialkritik, wobei besonders die Frauen als Opfer erscheinen. In seinem Spätwerk, den Romanen "Jugend ohne Gott" (1937) und "Ein Kind unserer Zeit" (1938) befasste er sich mit dem Aufstieg des Faschismus. Kleist-Preis 1931.

"Ich schreibe nichts gegen, ich zeige es nur - ich schreibe auch allerdings nie für jemand, und es besteht die Möglichkeit, dass es dann gleich "gegen" wirkt. Ich habe nur zwei Dinge gegen die ich schreibe, das ist die Dummheit und die Lüge. Und zwei wofür ich eintrete, das ist die Vernunft und die Aufrichtigkeit."

fotopalffy

Wikipedia

 

Ein Kind unserer Zeit ist ein Roman von Ödön von Horváth. Er erschien 1938, kurz nach dem Tod des Autors. Das Buch erzählt die Geschichte eines Soldaten in einem Land mit diktatorischen Führern.

Handlung
Der Ich-Erzähler, ein anonym bleibender Soldat, ist die Hauptperson des Romans; geboren wurde er 1917. Seine erste Erinnerung ist der Tod der Mutter. Er ist arbeitslos und zieht wegen ideologischer Differenzen bei seinem Vater aus. Nun muss er betteln und ist auf die Wohlfahrt angewiesen. Sein Hass auf die schöne Jugendzeit seines Vater und auf das gemütliche Leben anderer steigt, und immer mehr identifiziert er sich mit Ansichten des Nationalsozialismus, namentlich der, der einzelne Mensch tauge nichts, und nur der Volkskörper zähle. Der Krieg, den er verherrlicht, gibt ihm, einem desillusionierten, egoistischen, unverschämten, radikalen und nicht mehr gläubigen Menschen, Hoffnung. Er will zum Militär, denn in der Uniform, so glaubt er, sei er stark und in der Truppe nicht mehr allein. Als er rekrutiert wird, erfüllt sich für ihn ein Traum. Über die Richtigkeit seiner Taten denkt er nicht nach, er meint „Denken bringt auf blöde Gedanken“.

Eines Tages sieht der Soldat auf dem Jahrmarkt eine junge Frau und verliebt sich in sie. Er hat keine Gelegenheit, sie kennenzulernen, weil er als sogenannter „Freiwilliger“ bei einem blitzartigen Überfall auf ein kleines Land kämpfen muss. Sein Hauptmann hat die vielen Kriegsverbrechen seiner Truppe satt und läuft im Kampf in den Tod. Der Soldat will ihn noch retten und wird am Arm verletzt. Er kommt ins Lazarett und beginnt nachzudenken. Wehrdienstunfähig kehrt er zu seinem Vater zurück, den er immer nur ausnützt. Die Frau vom Jahrmarkt sitzt inzwischen im Gefängnis, weil sie in der Hoffnungslosigkeit ihr Kind abgetrieben hat, denn die Jahrmarkt-Firma duldet keine schwangeren Angestellten. Als der Soldat auf der Suche nach ihr davon erfährt, steigen sein Hass und seine Zweifel an den Führern und dem Volkskörper. Hasserfüllt ermordet er den Buchhalter der Jahrmarkt-Firma. Zwei Tage später wandert er durch die Nacht und sieht die Unsinnigkeit des Krieges und der nationalsozialistischen Gedanken ein, doch eigene Schuld verleugnet er. Im Schneesturm erfriert der Soldat auf einer Bank.

Sprache und Erzähltechnik
Horváth erzählt die Geschichte in Form eines intradiegetischen Ich-Erzählers. Immer wieder wechselt zeitraffendes mit zeitdehnendem Erzählen. Ein paar Mal treten zeitliche Sprünge mit anschließenden Rückblenden auf. Spannende und hektische Szenen verdeutlicht Horváth mit kürzeren Sätzen und Zeilen. Die Sprache der Geschichte ist die gehobene Umgangssprache und das Vokabular des NS-Alltags.

Geschichtlicher Hintergrund
Mit dem Roman, der von den Nazis verboten wurde, übte Horváth offensichtliche, heftige Kritik am Deutschland unter Adolf Hitler - und das obwohl mit keinem Wort der Ort der Handlung verraten wird. Hintergrund für das Schreiben von Ein Kind unserer Zeit waren die Besetzung des Rheinlandes und die Unterstützung Francos im Spanischen Bürgerkrieg durch Truppeneinheiten Hitlers. Horváth will über die Gefahr und Verbrechen des Nationalsozialismus aufklären; warnen, nicht blind den hohlen Sprüchen und Phrasen zu folgen und gewissenhaft zu handeln. Zudem lässt er sehr gelungen die negative Stimmung der Zeit spüren und zeigt ihre Konsequenzen. Das wiederholte Motiv des Kälterwerdens steht dabei für die gesellschaftlichen Zustände.

Verfilmungen
Im Jahre 2003 wurde Ödön von Horváths Roman von Fabrice Cazeneuve unter dem Titel Un fils de notre temps (Dt. Titel: Ein Kind unserer Zeit) für das französische Fernsehen verfilmt. In der Hauptrolle als junger Soldat agierte der belgische Schauspieler Jérémie Renier.

Medien

Michaela Mottinger / 4.12.2009

EIN HORVÁTH-ABEND MIT HERZBLUT UND HIRN
Zu Beginn ist sie auf Video zu sehen. Die Operation am offenen Herzen. Doch die Kugel steckt, daran ist nicht zu ändern. Und in der Kugel stecken die Zweifel. Am System.
Das theater.wozek zeigt als Gastspiel im Wiener TAG seine Dramatisierung des Horváth-Romans "Ein Kind unserer Zeit". Regisseur Karl Wozek holt Horváth nah ans Heute, diese Geschichte vom Arbeitslosen, der in den Krieg zieht, mit Rechts liebäugelt und zum Schluss als Krüppel erfriert. Wozek lässt die Darsteller Charly Vozenilek, Barbara Sotelsek und Martin Oberhauser die Vorlage teils spielen, teils lesen. Er entkernt sie aufs Wesentliche. Da werden Soundeffekte (Sirenengeheul) ins Mikrofon geplärrt und Schauspieler zu Maschinengewehren. Mit Golf-kriegs-schlägern stellen sie sich zum Abschlag auf. Eigenltich: zum Einschlag. Der Bomben. Eine berührende, kluge Produktion. Kann man über Theater was Schöneres sagen?

Stefan Mayer / 5.12.2009

EMPFÄNGLICH FÜR RADIKALES

Die Theatergruppe theater.wozek bringt Horváths "Ein Kind unserer Zeit" im Theater an der Gumpendorfer Straße (TAG) auf die Bühne.
Ein zorniger junger Mann, der seinen Vater verachtet und für einen Feigling hält, hat genung von Armut und Arbeitslosigkeit und meldet sich freiwillig zur Armee. Seine verschämten Versuche, sich einer jungen Dame zu nähern, scheitern, was ihn noch härter und empfänglicher für radikale Unnachgiebigkeit macht.
Voll jungendlicher Begeisterung versagt er sich fortan das Denken und Fühlen und liefert sich seinem Vaterland aus, dem Gehorsam, dem faschistoiden Drill: "Wir kämpfen für das Gute, für das Volk, für den Frieden."
Ein neuer Krieg, größer noch und brutaler als jener der Väter, soll die "säubern von dem organisierten Untermenschentum" - so sagt es das Vaterland, so glaubt es der junge zornige Mann (Charly Vozenilek).
Vozenileks Spiel und das seiner beiden Kollegen, Barbara Sotelsek und Martin Oberhauser, die in ständig wechselnden Rollen zu sehen sind, ist derart unmittelbar, dass Rohheit und Brutalität dem Zuschauer in manchen Momenten fast physisch erlebbar ins Gesicht geschleudert werden. Ebenso das Grauen, das schließlich im Krieg über den jungen Mann hereinbricht. Dabei ist das Bühnenbild auf wenige kistenartige Blöcke, ein paar Glasscheiben seitlich und hinter der Bühne und ein Mikrofon reduziert - mit einfachsten Mitteln, rafiniert eingesetzt, erzielt das Schaupiel-Trio größtmögliche Effekte. Das Mikrofon etwas, rhythmisch gegen die Stirn eines Darstellers geklopft, unterlegt das Spiel der anderen mit hörbarem Herzschlag; der Kugelhagel, in dem der junge Mann beim Versuch, den Hauptmann zu retten, seinen Arm verliert, wird durch Einsatz von stroboskopischem Licht aufwühlend inszeniert.
Mit zeitgemäßer Musik und aktuellen Attributen - als Uniform dient ein Fußballdress - übersetzt Regisseur Karl Wozek den Stoff in ein zeitloses Jetzt. Damit macht er klar: Es handelt sich um ein Kind auch unserer Zeit, auch heute gibt es wieder genug zornige junge Männer - arbeitslos und empfänglich für Radikales.

Probenfotos

Wir bedanken uns für die Unterstützung!

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